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Mehr als 70 Prozent der Photovoltaikmodule, die in der Schweiz montiert werden, stammen aus...
Sonnenaufgang im Pionierland Schweiz

19 Juni 2023

Hightech in der Werkhalle: Bei Gwatt werden innovative gebäudeintegrierte Photovoltaikanlagen produziert.
Quelle: Energiejournal – Energieschweiz.

Von Roland Grüter (Text) und Gerry Nitsch (Fotos) – Energiejournal für Hausbesitzerinnen und Hausbesitzer 2023-05-23

 

Mehr als 70 Prozent der Photovoltaikmodule, die in der Schweiz montiert werden, stammen aus Asien. Doch wenige, hochspezialisierte Schweizer Unternehmen bieten der asiatischen Übermacht die Stirn. Eines davon ist 3S Swiss Solar Solution mit Sitz in Gwatt (BE). Ihre gebäudeintegrierten Anlagen sind sehr gefragt.

 

Neben dem Eingang zum Chefbüro steht in grossen Lettern: «Mit Leidenschaft Neues erschaffen.» 3S Swiss Solar Solutions gehört zu den führenden Schweizer Produzenten von Photovoltaiksystemen. Rund 20 000 Schweizer Dächer wurden damit ausgerüstet. 130 Menschen finden im Gwatter Unternehmen Arbeit – viermal mehr als noch vor fünf Jahren. Auf den ersten Blick erinnern die Räume an eine Bank, an eine Versicherung: Büros hinter mächtigen Glasscheiben, ordentlich hergerichtete Sitzungszimmer.

 

Doch der Eindruck täuscht. Öffnet man auf der anderen Seite des Betriebs die Tür, gelangt man in eine komplett andere Welt, eine 2000 Quadratmeter grosse Werkhalle. Hightech und Mensch arbeiten darin Hand in Hand. Roboterarme richten Glasscheiben auf, Module werden mit Lichtblitzen beschossen. Die Arbeiterinnen und Arbeiter verlöten Kupferdrähte, schneiden Folienreste weg. Über 25 Tonnen Material werden hier tagtäglich verarbeitet. Rund 20 Verarbeitungsschritte sind erforderlich, bis die Photovoltaikmodule schimmernd daliegen – und damit die Spezialität des Hauses: die MegaSlate-Module. Sie gelten als besonders innovativ und ästhetisch. Das Bundesamt für Energie zeichnete das Unternehmen dafür unlängst mit dem renommierten Watt d’ Or aus. Ein Ritterschlag.

 

Verschmolzen mit der Architektur

 

«Wir stellen die energieproduzierenden Gebäudehüllen von morgen her», ist auf der Website der Firma nachzulesen. Der Clou: Die Solarmodule werden nicht wie andere auf das Dach montiert, sondern direkt in die Gebäudehülle integriert. Sie ersetzen herkömmliche Dachziegel, überspannen Dächer, Parkplätze, Fassaden oder Balkongeländer bis zur hintersten Ecke, verschmelzen dadurch mit der Architektur. Damit heben sie sich ab von gewöhnlichen Auflegersystemen, wie sie viele Konkurrenten aus Fernost anbieten. Der Erfolg: Vergangenes Jahr konnte der Betrieb den Absatz verdoppeln, im laufenden Jahr rechnen die Verantwortlichen neuerlich mit einem starken Wachstum.

 

Ein Teil der 16-köpfigen Belegschaft macht in der Werkhalle gerade Pause. Das Management gibt einen Brunch aus – als Belohnung für den in der Vorwoche erzielten Produktionsrekord. Die Arbeiterinnen und Arbeiter heben grüssend die Hand, als ihr Chef an ihnen vorbeieilt. Marcus Bäckmann ist eigentlich für die Betriebsleitung verantwortlich. Heute aber führt er Besucherinnen und Besucher durch sein Reich. Dafür ist er notfallmässig eingesprungen, denn Firmengründer und Hauptaktionär Patrick Hofer-Noser erlitt in den Ferien einen Unfall. Marcus Bäckmanns Leidenschaft für den Betrieb und die Mitarbeitenden klingt aus jedem Wort, das er sagt. Der Umgang scheint familiär, obwohl der Betrieb stark gewachsen ist.

 

Anfänge im Maschinenbau

 

Die Geschichte des Unternehmens ist abwechslungsreich. Ursprünglich wurde das Unternehmen 2001 in Lyss (BE) von Patrick Hofer-Noser gegründet. Mit dem Fernziel, energieautarke und CO²-neutrale Gebäude zu realisieren. Zunächst beschäftigte sich das Unternehmen mit der Automatisierung und den Abläufen in der Produktion von Photovoltaikmodulen. 3S wurde zum Maschinenbauer. Im Jahr 2010 folgte die Fusion mit Meyer Burger, einem anderen Maschinenhersteller. Gemeinsam erlebten sie goldene Jahre, entwickelten Photovoltaikmodule, die heute als Mainstream gelten. Nach Eintritt der asiatischen Konkurrenz entschied sich die Gruppe zu diversifizieren, Teilbereiche zu verkaufen oder stillzulegen. Patrick Hofer-Noser kaufte im August 2018 den Bereich der gebäudeintegrierten Photovoltaik (PV) zurück. Und er setzte seinen Weg fort, den er 17 Jahre zuvor eingeschlagen hatte.

 

Das ist nicht selbstverständlich. Denn Schweizer Forscherinnen und Forscher tragen zwar seit jeher dazu bei, Photovoltaiktechnologien in die Zukunft zu tragen. Jedoch konnte die hiesige Industrie diesen Know-how-Vorsprung nicht wirklich nutzen. Als vor rund zehn Jahren die Produktion automatisiert wurde, verpassten viele Unternehmen den Anschluss. Die Produktion fand anderswo statt. Und den wenigen Betrieben, die der ausländischen Konkurrenz trotzen wollten, blieben einzig Nischen, Marktlücken. Die meisten fanden so zu gebäudeintegrierten Photovoltaikanlagen.

 

Der Kreis der europäischen Produzenten ist klein, aber fein. Dazu zählen neben 3S Swiss Solar Solution etwa Meyer Burger, Sunage, AxSun, Aleo, Sonnenkraft und Enel. «Die jüngere Generation wird kaum wissen, dass die Schweiz einmal die führende Solarstrom-Nation in Europa war», schreibt das Bundesamt für Energie in den Ausführungen zur Watt-d’ Or-Vergabe. «Die 3S Swiss Solar Solutions gehört zu den Pionierinnen aus der Blüte des Schweizer Solarzeitalters.»

 

Ungleicher Kampf

 

Die Glanzzeiten sind längst vorbei. Mehr als 70 Prozent der PV-Module, die in der Schweiz montiert werden, stammen mittlerweile aus dem Ausland, vor allem aus China. «Die chinesische Regierung hat das Potenzial der Photovoltaik früh erkannt und gefördert, um auch die Energieversorgung im Land abzusichern», sagt Marcus Bäckmann. «Der Heimmarkt ist riesig, nur ein kleinerer Teil der chinesischen Produktion geht in den Export.» Auch in den USA wird die Branche staatlich unterstützt. David Stickelberger, Geschäftsleiter des Schweizerischen Fachverbandes für Sonnenenergie, Swissolar, sagt: «Das Geld europäischer Investoren und viel Knowhow fliessen derzeit in die USA. Es ist ein Kampf mit unterschiedlich langen Spiessen. Schweizer und europäische Mitbewerber können kaum mithalten. Hierzulande wird zwar die Forschung unterstützt, nicht aber die Industrie.»

 

Daraus erwuchs eine grosse Abhängigkeit, vor der sich Europa in den nächsten Jahren wieder lösen will. Die EU setzt sich zum Ziel, 40 Prozent der Produktion zurückzuholen. Ein entsprechendes Gesetz ist in Vorbereitung. Ein zweites soll die Herkunft von Photovoltaikmodulen transparenter machen: Woher stammen die Bestandteile? Werden Menschenrechte in der Verarbeitungskette eingehalten? Die Ziele der Politik sind ambitiös. «Doch es lohnt sich, sie anzupacken», ist Marcus Bäckmann überzeugt. «Die Abhängigkeit von Asien ist hochriskant und eine Denkumkehr dringend nötig, wenn wir die energiepolitischen Ziele nicht gefährden wollen.» Zwar leistet Solarstrom schon einen wichtigen Beitrag zur Energieversorgung des Landes. Für den Ausstieg aus fossilen Energien und Atomkraft benötigt die Schweiz jedoch rund zehnmal mehr Solarleistung als heute. Dazu braucht es verlässliche Rahmenbedingungen – und auch die Sicherheit, dass die dafür benötigte Technologie greifbar ist. «Handelswege sind fragil», sagt Experte Marcus Bäckmann. «Das hat uns der Krieg in der Ukraine deutlich vor Augen geführt.»

 

Auch für viele Hausbesitzerinnen und Hausbesitzer wird die Herkunft von Solarmodulen je länger, je entscheidender. Sie treibt etwa die Frage um, wie lange ein Photovoltaikmodul umweltfreundlichen Strom produzieren muss, bis die CO²-Emissionen ausgeglichen sind, die bei der Herstellung und beim Transport anfallen. «Hier haben Anlagen, die in Europa oder

in der Schweiz produziert werden, einen klaren Vorteil», sagt David Stickelberger.

 

Der Rundgang in der Werkhalle ist abgeschlossen, Zeit für einen Blick in die Zukunft. Das Unternehmen schmiedet grosse Pläne. Es eröffnet Ende Jahr in Worb (BE) einen zweiten Standort mit einer hochautomatisierten Fertigungslinie. Damit soll die Produktionskapazität verdreifacht werden. Darüber hinaus steht das neue Produkt TeraSlate vor der Einführung. Es ist leistungsfähiger als sein Vorgänger.

 

Wo will 3S Swiss Solar Solution in zehn Jahren stehen? «Wir wollen in unserem Segment europaweit zum wichtigen Player werden», sagt Marcus Bäckmann. Er zeigt auf ein vergilbtes Stück Papier: «Mit Leidenschaft Neues erschaffen.» Der Kernsatz stammt aus der Sitzung nach dem Rückkauf, in der das Management über seine Philosophie nachdachte. Der Merksatz soll auch künftig gelten.

Siehe auch
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3S Swiss Solar Solutions AG
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