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Es ist möglich, eine Fotovoltaikanlage nicht nur auf dem Dach, sondern auf der gesamten Gebäudehülle zu installieren. Dies ist die Ansicht von Francesco...
Ausschöpfung des Solarpotenzials

14. November 2022

Das Gebäude „Winter Plus Energy“ Sol’CH in Poschiavo (GR) ist ein preisgekröntes Beispiel für integrierte Photovoltaik. Seine gesamte Hülle, einschließlich der Nordfassade, besteht aus Photovoltaik-Modulen. Foto: Nadia Vontobel Architekten GmbH.

EnergieSchweiz – Das Energiemagazin für Immobilienbesitzer – Oktober 2022

Das Solarpotenzial optimal nutzen

Interview: Tobias Fischer, Michela Sormani

 

SOLARFASSADEN Es ist möglich, eine Photovoltaikanlage nicht nur auf dem Dach, sondern auf der gesamten Gebäudehülle zu installieren. Dies ist die Ansicht von Francesco Frontini und Pierluigi Bonomo von der SUPSI, der Fachhochschule der Südschweiz. In ihrem Interview erläutern sie die Vorteile von Solarfassaden und die Faktoren, die dabei zu berücksichtigen sind.

 

Wenn man von einem „Haus mit Photovoltaikanlage“ spricht, denken die meisten Leute an eine Dachanlage. Warum sollte man auch die Fassade berücksichtigen?

Pierluigi Bonomo: In der Schweiz gibt es 1,8 Millionen Wohngebäude, die etwa 5 Prozent der bebauten Fläche ausmachen. Es ist wichtig, diese Gebäude für die solare Energieproduktion zu nutzen. Bis vor einigen Jahren wurden Photovoltaikanlagen auf Dächern meist nach individuellen Bedürfnissen konzipiert und waren daher eher klein. Wer sich heute für Photovoltaik entscheidet, kann das solare Potenzial voll ausschöpfen, indem er alle geeigneten Flächen der Gebäudehülle, also auch Fassaden, dafür nutzt. Denn Fassadenmodule erzeugen auch dann Energie, wenn die Sonne tiefer am Horizont steht, vor allem im Winter. Aber auch in anderen Jahreszeiten, wenn sie die Produktionskurve über den Tag hinweg mit der Produktion am frühen Morgen oder späten Nachmittag ausgleichen können. Dieser neue Trend setzt sich nicht nur im Rahmen der Energiestrategie 2050 durch, sondern auch, weil Strom immer wichtiger wird, z.B. für die Elektromobilität und für Wärmepumpen. Die heutige Photovoltaik-Technologie ist äusserst flexibel und ermöglicht massgeschneiderte Lösungen für Fassaden, Dächer oder Einbauten wie Carports, Balkone oder Terrassen – und damit auch eine ganz individuelle Architektursprache.

 

Für welche Häuser ist eine Photovoltaik-Fassadenanwendung besonders geeignet?

Francesco Frontini: Diese Technologie ist sowohl für Neubauten als auch für Renovierungen geeignet. In diesem speziellen Fall muss zunächst die Sonneneinstrahlung analysiert werden. Im Prinzip können alle vier Fassaden genutzt werden, auch die Nordfassade. Angesichts der grauen Energie, die in einem Solarmodul steckt, fragt man sich jedoch, ob es wirklich sinnvoll ist, ein solches Modul auf einer weniger exponierten Fläche zu installieren. Tatsächlich enthält ein Photovoltaikmodul mehr graue Energie als eine Holzverkleidung oder ein einfacher Putz. Daher ist es wichtig, Photovoltaikmodule dort zu installieren, wo sie mit ihrer technischen Leistung den höchstmöglichen Ertrag an Sonnenenergie erzeugen können. In weniger sonnigen Gebieten können farbige Glassysteme, die den Solarmodulen optisch sehr ähnlich sind, für ein harmonisches Gesamtbild sorgen.

 

Gibt es eine Mindestgröße, unter der eine Photovoltaik-Fassadenanlage keinen Sinn macht?

Frontini: Die kleinste Anlage, die ich gesehen habe, war eine 1-Kilowatt-Anlage, für die eine Brüstung ausreichend ist. Während es auf einem Dach richtig ist, eine Fläche von mindestens 15 bis 20 Quadratmetern zu berücksichtigen, um 3 bis 5 Kilowatt zu erreichen, steht bei einer Fassade der architektonische Aspekt im Vordergrund. Daher würde ich bei einer Fläche von 10 Quadratmetern nicht das Minimum, sondern das Maximum anstreben, um eine maximale konstruktive und ästhetische Homogenität zu gewährleisten.

 

Wie kann eine Photovoltaikanlage in die Fassade integriert werden, ohne dass das Haus wie eine Raumstation aussieht?

Frontini: Dass ein photovoltaisches Element eine klassische blaue oder schwarze quadratische Zelle ist, ist ein Mythos. Das zeigen aktuelle Beispiele, unter anderem auf unserer eigenen Website solarchitecture.ch. Ein Photovoltaikmodul ist heute ein Bauelement (in der Regel aus Glas) und sehr flexibel in Bezug auf Individualisierung, Farbe, Form und Oberflächeneffekt.

Bonomo: In den letzten Jahren wurde in diesem Bereich viel geforscht, was dazu geführt hat, dass Glas mit verschiedenen Oberflächenbehandlungen und Farben auf dem Markt erhältlich ist. Photovoltaik-Fassaden können daher flexibel an die individuellen ästhetischen Anforderungen angepasst werden, sei es einfarbig, von dunkel bis weiß, oder dekoriert, was an das Bild traditioneller Materialien erinnert, oder mit einem grafischen oder fotografischen Motiv. Es ist wichtig, von Fall zu Fall den richtigen Kompromiss zwischen Ästhetik und Leistung dieser Module zu finden.

 

Ist eine Fotovoltaikfassade weniger haltbar als eine herkömmliche Fassade?

Frontini: Ein Fotovoltaikmodul ist sehr langlebig, wenn es gut konstruiert ist. Da es jedoch zu 99 Prozent aus Glas besteht, ist es ratsam, die oberen Etagen für die Photovoltaik zu nutzen und den Sockel frei zu lassen, wie es in der Architektur üblich ist, da dieser widerstandsfähiger gegen Stöße und Schmutz ist. Alternativ kann man sich auch für Photovoltaikmodule entscheiden, die für eine höhere Belastung ausgelegt und entsprechend zertifiziert sind. Solarmodule sind konventionelle Bauprodukte und werden als solche auf Schlag-, Wind-, Schnee- und Erdbebensicherheit geprüft.

 

Wie hoch ist die Lebensdauer einer Photovoltaik-Fassadenanlage?

Frontini: Ein Solarmodul liefert 25 bis 30 Jahre lang Energie, das ist garantiert. Am Ende dieses Zeitraums wird es maximal 15 bis 20 Prozent seines Ertrags verloren haben, und gleichzeitig werden neue, effizientere Module auf dem Markt verfügbar sein. Deshalb wäre es sinnvoll, sich jetzt für ein demontierbares und flexibles System zu entscheiden. Zum einen kann das Modul bei Vandalismus leicht ausgetauscht werden, zum anderen kann es zu einem späteren Zeitpunkt durch ein effizienteres Modul ersetzt werden. Dies ist jedoch nicht erforderlich, da ein Modul bis zu 40 bis 50 Jahre halten kann, wenn das Glas nicht bricht.

Bonomo: Nachhaltigkeit bedeutet nicht, dass die Produkte ewig halten müssen, wie man es bei Kathedralen dachte. Wenn ich ein „leichtes“ Element verwende, das eine geringe graue Energie hat und am Ende seiner Lebensdauer recycelt oder anderweitig kreislauffähig wiederverwendet werden kann, ist der Ersatz auch bei einer kürzeren Lebensdauer nachhaltig, wenn dieser Aspekt im ökologischen/ökonomischen Nachhaltigkeitskonzept des gesamten Gebäudes berücksichtigt wird. Darüber hinaus ist das Recyclingpotenzial eines Photovoltaik-Glasmoduls gut bekannt

 

Wenn jemand die Fassade renovieren und dabei auch dämmen will, wie lässt sich dann eine Photovoltaikanlage integrieren?

Frontini: Am einfachsten und effektivsten ist es, eine hinterlüftete Fassade zu bauen, bei der die Dämmung zusätzlich zu einer Konstruktion, an der die Photovoltaik-Module befestigt werden, an der bestehenden Wand angebracht wird. Auf solarchitecture.ch sind die technischen Details der einzelnen Elemente verfügbar und es wird die optimale Lösung für jeden Gebäudetyp angeboten.

 

Haben Sie einen Rat für Bauherren oder Entwickler, die sich für Solarfassaden interessieren?

Bonomo: Die Photovoltaik setzt keine Grenzen, sondern bietet wie alle Technologien in der Architektur Möglichkeiten, Potenziale und Grenzen. Wenn ich mein Dach als Gründach nutzen möchte, weiß ich, dass ich die Fassaden für die Photovoltaik nutzen kann, und diese werden keine technischen Geräte sein, sondern eine eigene Architektursprache haben. Ein weiterer Tipp ist, die Wirtschaftlichkeit nicht nur zum Zeitpunkt der Investition, sondern über den gesamten Lebenszyklus der Photovoltaikanlage zu betrachten. Die Mehrkosten für die Anschaffung einer Photovoltaik-Fassade, die sich im Vergleich zu einer konventionellen Fassade bemerkbar machen, amortisieren sich in der Regel über den Lebenszyklus der Anlage, da die Photovoltaik heute das einzige rentable Material für die Gebäudeverkleidung ist.

 

Vollständige Publikation

Siehe auch
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EnergieSchweiz
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Sonnenfassade.ch
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Solare Architektur. Jetzt und für die Zukunft
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Factsheet - Solarenergie im Raumplanungsgesetz
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