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La Seine Musicale
  • Standort
    Paris, Frankreich
  • Architekt
    Shigeru Ban Architects & Jean de Gastines Architects
Früher wurden Gebäude entworfen, um uns vor den externen Einflüssen zu schützen. Heute müssen sie diese absorbieren und nutzen.
Jean de Gastines - JDG Architects
Architektur in Bewegung

Die Seine Musicale auf der Île Seguin in Boulogne-Billancourt, Paris, ist ein visionäres Kulturzentrum, das von Shigeru Ban in Zusammenarbeit mit Jean de Gastines entworfen wurde.

 

Das im April 2017 eingeweihte Gebäude umfasst eine bebaute Fläche von rund 36’500 m² und beinhaltet verschiedene Veranstaltungsräume, Proben- und Aufnahmeräume, Verwaltungsbereiche und einen Dachgarten. Im Zentrum des Komplexes befindet sich das ovale Auditorium aus Holz, das oft als „Holzei” bezeichnet wird. Es ist ist von einer mit Glas verkleideten und frei geformten Holzlamellenstruktur umgeben, die aus über 1.700 einzelnen Elementen besteht.

 

Das Gebäude liegt an der Seine und wirkt wie ein Schiff, das am Ufer des Flusses vor Anker liegt – eine poetische Anspielung auf das kulturelle Erbe und die Lage der Insel. Im Innern bietet das Auditorium Patrick-Devedjian (Hauptauditorium) Platz für rund 1.150 Zuschauer. Dank sorgfältig ausgewählter Oberflächen und Materialien konnte es akustisch optimiert werden. Daneben befindet sich die Grande Seine, ein grosser modularer Saal, der je nach Ausstattung 4’000 bis 6’000 Zuschauer fasst.

 

Das Layout von der Seine Musicale zeichnet sich durch Fluidität und Durchlässigkeit aus. Eine „grosse Lobby” durchzieht das Herzstück des Komplexes und begünstigt eine visuelle sowie physische Verbindung zwischen Innen- und Aussenbereichen. Insgesamt vereint diese Architektur Ausdrucksformen, leistungsstarke Materialien und ein starkes Nachhaltigkeitsbewusstsein.

Auditorium Patrick-Devedjian, La Seine Musicale – Das mit Holz verkleidete Auditorium unter dem rotierenden Sonnensegel des Gebäudes zelebriert das Zusammenspiel von Struktur, Licht und Klang und verkörpert den Geist der solaren Architektur.

Eines der visuell und technisch beeindruckendsten Merkmale der Seine Musicale ist das drehbare Sonnensegel, das sowohl als Sonnenschutz als auch als Struktur zur Energieerzeugung dient. Das Segel ist auf einer 90 Meter langen Schiene montiert, die das Auditorium umgibt, und kann sich dem Lauf der Sonne entsprechend drehen, was die Sonneneinstrahlung und den photovoltaischen Ertrag optimiert.

 

Die Gesamtfläche des Sonnensegels beträgt über 1.000 m² Photovoltaikfläche und besteht aus 470 massgeschneiderten Modulen, von denen 396 Energie produzieren. Die doppelte Funktion des Segels ist von entscheidender Bedeutung: Sie reduziert den Kühlbedarf und trägt zur Stromversorgung des Gebäudes bei. Das System folgt automatisch der Sonne bzw. richtet sich im Laufe des Tages neu aus, um die Sonnenenergie optimal einzufangen und Verluste durch Verschattung zu minimieren. Kurzum: La Seine Musicale ist ein überzeugendes Beispiel dafür, wie Photovoltaik zu einem funktionalen und ausdrucksstarken Bestandteil der Architektur werden kann, statt lediglich ein Accessoire zu sein.

Die Mechanismen der Solararchitektur
Das Sonnensegel wird auf Schienen bewegt, die eine gleitende Bewegung mit einer Geschwindigkeit von etwa 0,08 m/s (ca. 5 m/min) ermöglichen. Es passt sich alle 15 Minuten dem Sonneneinfall an.
Das mechanische System ist so ausgelegt, dass es dynamische Windlasten, strukturelle Durchbiegungen sowie die Ausrichtung der Paneele auf grossen Spannweiten bewältigen kann. Aufgrund der gekrümmten Oberfläche des Segels und der unterschiedlichen Geometrie (von rechteckig bis trapezförmig) wurde jede der 470 Platten in einer von 38 verschiedenen Formen massgefertigt. Die Glas-auf-Glas-Laminatverbindung gewährleistet eine lange Lebensdauer, Schutz vor Delaminierung und eine optische Einheitlichkeit über die gesamte gekrümmte Oberfläche. Das Segel bedeckt hauptsächlich die Struktur des Auditoriums. Somit erfolgt die Energieerzeugung im Einklang mit den wichtigsten internen Verbrauchern, wie beispielsweise Beleuchtung, HVAC-System und Audiosysteme. Der Schattierungseffekt trägt zudem dazu bei, den Kühlbedarf der Glasfassade zu reduzieren.
Aufgrund der Krümmung und der dynamischen Funktionsweise muss das Steuerungssystem die Bewegung, die Verfolgungsalgorithmen und die Sicherheitsverriegelungen (z. B. die Verstaupositionen bei starkem Wind) synchronisieren. Das Ziel des Projekts ist eindeutig: die Maximierung der Solarenergieproduktion bei gleichzeitiger Minimierung des internen Energieverbrauchs durch passive Steuerung.
Die Fragmentierung des photovoltaischen Layouts lässt das Sonnenlicht durchscheinen, genau so wie das Licht durch das Blätterwerk der Bäume dringt.
Philippe Monteil - Shigeru Ban Architects

Die Seine Musicale ist eine aussergewöhnliche Kombination aus architektonischer Ausdruckskraft und photovoltaischer Leistung. Ihr drehbares Sonnensegel ist ein skulpturales Element und eine funktionale Verkleidung in einem: Es beschattet das Auditorium und erzeugt Energie. Es handelt sich um ein anschauliches Beispiel für solare Architektur: Die Photovoltaikanlage ist kein zusätzliches Element, sondern ein dynamischer Bauteil, der in die Identität des Gebäudes integriert wurde.

 

Aus gestalterischer Sicht zeigt das Projekt, wie sich Individualisierung in Bezug auf Form, Materialien und Bewegung mit technischen Systemen vereinbaren lässt, um eine Synergie zwischen Form und Funktion zu erreichen. In Bezug auf die Leistung reduziert das drehbare Solar-Segel (Solar-Tracker-System) viele der typischen Verluste fester Photovoltaikanlagen. Zudem trägt die kombinierte Funktion von Beschattung und Energiegewinnung zum Ausgleich der Stromlasten bei.

 

La Seine Musicale ist für Architekten, Ingenieure und Energieplaner eine Fallstudie für integriertes Design: Hier wird das Zusammenwirken von Holzkonstruktion, Verglasung, Solaranlagen und Steuerungslogik in einem komplexen Kulturgebäude veranschaulicht. Obwohl einige Kompromisse hinsichtlich der mechanischen Komplexität, der Wartung und der Zuverlässigkeit der Steuerungen in Betracht gezogen werden müssen, zeigt dieses Projekt, dass es möglich ist, „Solargebäude” zu realisieren, die auch architektonisch überzeugen.

CREDITS
Foto © Didier Boy de la Tour

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